3. Tanz-Gottesdienst
am Montag, den 3. Februar 2025 um 19.30 Uhr in der Ev. Kirche Mettlach, Parkstraße 2 weiterlesen
Ein störendes Stimmengewirr mischt sich mit schrillen Tönen zu einem misstönigen Durcheinander, Personen reden gleichzeitig, nur bruchstückhaft sind Namen, einzelne Zahlen und Erinnerungen zu verstehen. Vor dem Toraschrein der Saarbrücker Synagoge sind drei Tische aufgebaut, an denen wechselnde Sprecher Platz nehmen. Die verschiedenen gleichzeitigen Klangebenen wirken verstörend – und das sollen sie auch.
All das ist Teil der Klangstele, einer kulturellen Gedenkveranstaltung nach einer Idee des Musikers Ulrich Voss, die in Saarbrücken am 27. Januar, dem 80. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz, stattgefunden hat. 24 Stunden lang haben Freiwillige aus dem „Kalendarium der Ereignisse im Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau 1939-1945“ vorgelesen. Parallel wurden Texte aus Literatur und Lyrik vorgetragen. Dazu erklangen im Hintergrund Werke von Luigi Nono („Ricorda cosa ti hanno fatto" in Auschwitz) und Arvo Pärt („Fratres“, „Cantus“, „Pari Intervallo“).
„Die Idee, die wir mit der Klangstele verfolgen, ist, dass man den 27. Januar nicht mit einer üblichen Gedenkveranstaltung begehen kann: einem Redner, einem Streichquartett und anschließend einem Sektempfang. Es musste eine Form gefunden werden, die das Monströse, das Unvorstellbare von Auschwitz versucht, besser einzufangen. Das Nichtverstehen der Texte sehen wir als einen Weg zu dem, was damals an Gräuel geschehen ist, die man einfach nicht verstehen kann“, sagt Patrick Wilhelmy von der Schulabteilung des Bistums Trier, die eine Kooperationspartnerin der Installation ist. Für viele Schülerinnen und Schüler, aber auch die Studierenden sei der Besuch der Veranstaltung in der Synagoge eine Erstbegegnung mit dem Judentum gewesen, so Wilhelmy.
Erstmalig hat die Installation, die es seit 1996 gibt, in der Synagoge stattgefunden. Polizeipräsenz und Eingangskontrollen gehören für die Mitglieder der Synagogengemeinde Saar zum Alltag. Trotz dieser Einschränkungen war der Besuch für jedermann ohne vorherige Anmeldung möglich. Eingeladen hatte die Christlich-jüdische Arbeitsgemeinschaft des Saarlandes (CJAS) mit ihren Kooperationspartnern: der Synagogengemeinde Saar, der Abteilung Schule und Religionsunterricht des Bistums Trier, dem Institut zur Lehrerfort- und -weiterbildung (ilf), dem Lesben- und Schwulenverband des Saarlandes e.V., dem Landesverband Deutscher Sinti & Roma e.V., den staatlichen Studienseminare sowie sieben Schulen. Viele Schülerinnen und Schüler trugen selbst Text vor. Das Lesen mache die Texte lebendig, eine wichtige Erfahrung, sagt ilf-Leiter Thomas Mann: „Wir haben die Hoffnung, dass es nicht nur ein Erinnern um des Erinnerns willen ist, sondern ein Erinnern auch für die Zukunft und für das Heute eines friedlichen Miteinanders.“
Auf diese Art mit der Geschichte konfrontiert zu werden, sei etwas ganz anderes, als in der Schule darüber zu sprechen, so die Rückmeldung vieler Jugendlicher. Mit einer Gruppe von elf jungen Menschen ist Lehrer Benedikt Hoster vom Gymnasium in Ottweiler in die Synagoge gekommen. Die Installation hinterlasse einen bleibenden Eindruck. „Es ist wichtig, an die Gräuel zu erinnern, gerade in der heutigen Zeit“, sagt Hoster.
Die 14-jährige Marie, Schülerin der bischöflichen Willi-Graf-Schule, verlässt die Synagoge mit einem beklemmenden Gefühl: „Es war alles sehr durcheinander – das war ja auch so gewollt. Wie damals: Niemand wusste, was als nächstes passiert.“ Gerade auch die Musik im Hintergrund habe Emotionen geweckt. „Es war zum Angsthaben – so wie die Menschen damals Angst hatten.“ An der Geschichte interessiert ist auch ihre Mitschülerin Lucia (13): „Es ist sehr traurig, wenn man es an sich ranlässt“, findet die Achtklässlerin.
Auf dem Platz der Erinnerung vor der Synagoge gibt es an diesem Tag ein weiteres Angebot zum Gedenken an die Opfer. Mitwirkende und Besucher der Klangstele sind aufgerufen, auf Kerzen die über 2.000 Namen der Ermordeten aus dem Saargebiet, deren Geburtstage sowie deren Geburtsorte und – soweit bekannt – Todesdatum und -ort zu schreiben und am Mahnmal „Band der Erinnerung“ aufzustellen. Lucia hat sich eine Kerze für Maximilian Lehmann aus Saarbrücken ausgesucht. „Er starb im Februar 1943 in Auschwitz. Er wurde nur acht Jahre alt.“
„Wir hatten eine friedliche und würdevolle Veranstaltung“, blickt Wilhelmy auf die 24-Stunden-Lesung zurück. Nahezu 400 Menschen hätten sich als Lesende an der Aktion beteiligt, hinzu kommen geschätzt rund 250 weitere Besucherinnen und Besucher. Über den Livestream, den das Team der Jugendkirche eli.ja organisiert hat, verfolgten etwa 1.000 Menschen zeitweise die Übertragung. Auch prominente Saarländerinnen und Saarländer, darunter Saar-Innenminister Reinhold Jost, der Saarbrücker Oberbürgermeister Uwe Conradt sowie mehrere Landtagsabgeordnete wirkten mit.
Erstmals war die Installation auch bei der offiziellen Gedenkveranstaltung des saarländischen Landtags in der Congresshalle zu hören. Schülerinnen und Schüler der Willi-Graf-Schulen, des Gymnasiums am Rotenbühl und der Gemeinschaftsschule Bisttal Wadgassen/Bous präsentierten einen achtminütigen Auszug. Unter den Vortragenden waren auch muslimische Schülerinnen und Schüler mit Fluchterfahrung. Sie betonten, dass sie helfen wollen, die Erinnerung wach zu halten. Viele von ihnen haben Krieg und Vertreibung und Flucht selbst erlebt.
Info:
Die gesamte Gedenkveranstaltung wurde auf dem Youtube-Kanal der Jugendkirche eli.ja live gestreamt und ist weiterhin jederzeit dort abrufbar. https://t1p.de/elija